If we can make it there, we’ll make it anywhere… Cantate ’86 in New York

Es ist Samstag, der 10. 12. 2016, Generalprobe für das Weihnachtskonzert in der Maxihalle, als unser Chorleiter fragt: „Wir haben ja mal ‚The Armed Man‘ von Karl Jenkins gemacht. Könntet ihr euch vorstellen, das noch einmal zu singen?“ Allgemeines Kopfnicken. Ist ja ein schönes Stück.

„Mit einem großen Profiorchester?“ Profiorcheser? Ja klar, immer doch.

„In einer großen Stadt? Zusammen mit 250 anderen Sängern aus der ganzen Welt?“ Äh… what? Ok, jetzt will er uns auf den Arm nehmen. Was für eine große Stadt?

„In New York, bei einer Uraufführung eines neuen Stücks, in Anwesenheit des Komponisten?“ Herunterklappende Kiefer. Ob wir uns das vorstellen können? Natürlich können wir das!

Distinguished Concerts International New York (DCINY) ist eine amerikanische Konzertagentur, die sich auf derartige Großkonzerte spezialisiert hat. Und diese Agentur ist irgendwie auf uns gekommen, weil wir das Stück schon einmal gesungen haben, und hat den Chorleiter angeschrieben, ob wir bei dem Konzert nicht mitmachen wollen. Nachdem eine Klangprobe für gut genug erachtet wurde, stand also fest: New York, wir kommen!

Nach einem Jahr Vorbereitung, die vor allem aus viel Organisationsarbeit und einer ausgedehnten Sponsorensuche bestand (vielen Dank nochmal an alle, die uns da geholfen haben), kann es am 12. 01. 2018, einem Freitag, mit 54 Personen (davon 40 Chorsänger) endlich losgehen:

Um 6:30 Uhr fährt der Bus voll bepackt zu den Klängen von Frank Sinatras „New York, New York“ los in Richtung Düsseldorfer Flughafen.

Etwas aufgeregt sind wir alle, und ein wenig nervös wegen der scharfen Sicherheitskontrollen, nicht nur am Flughafen in Deutschland, sondern auch und gerade in Amerika. Und tatsächlich dauert es nach der Landung zwei Stunden, bis wir alle durch die Einreisekontrollen und den Zoll sind, als unbedenklich gelten und uns auf den Weg durch den dichten New Yorker Verkehr zum Hotel machen können.

Am Samstagmorgen geht es dann los mit einer Probe um 8:15 Uhr in einem Hotel in der Nähe der Carnegie Hall.

Zunächst lernen wir uns und unsere Mitsängerinnen und -sänger aus Japan, Norwegen, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz sowie den Dirigenten, Jonathan Griffith, kennen. Jonathan ist sehr streng. Wenn ihm etwas nicht passt, winkt er sofort ab und lässt die Stelle wiederholen. Und wenn sie beim dritten Mal noch nicht klappt, wird er auch schon einmal etwas sauer. Der am meisten geführte Dialog zwischen ihm und dem Chor ist dann wohl auch: „Did we not rehearse that, Chorus?“ („Haben wir das nicht geprobt, Chor?“)

„Yes, we did.“ („Doch, haben wir.“)

„Then do it that way!“ („Dann macht es auch so!“)

Es muss unglaublich schwierig sein, 250 Menschen, von denen die meisten Englisch nicht als Muttersprache haben und die auch nicht alle Gesangsprofis sind, begreiflich zu machen, was man musikalisch und aussprachetechnisch (Aussprache, immer wieder die Aussprache!) von ihnen will. Aber Jonathan macht das großartig.

Nach vier anstrengenden Stunden haben wir dann auch den ersten Kontakt zu Sir Karl Jenkins. Er bringt seine Freude über das Konzert zum Ausdruck, es gibt Autogramme und ein gemeinsames Foto.

Danach machen wir uns auf, die Stadt zu erkunden. Viele von uns machen eine Stadtrundfahrt in einem der vielen Doppeldeckerbusse, auf dessen oberem, offenen Deck es ziemlich kalt ist. Denn nach 17 Grad Celsius am Anreisetag sind es mittlerweile 8 Grad minus!

Besonders beeindruckend ist immer wieder der Blick auf Manhattan aus der Distanz. Sei es auf der Staten Island Ferry (einer Pendlerfähre, die täglich kostenlos an der Freiheitsstatue vorbeifährt), auf den Aussichtsplattformen des Rockefeller-Centers und des Empire State Buildings oder bei einem Spaziergang auf der Brooklyn Bridge, der Blick auf die Ansammlung an Wolkenkratzern ruft immer wieder weit aufgerissene Augen, offene Münder und generell ungläubiges Staunen hervor.

Am Sonntag läuft es anders herum: zuerst Freizeit, dann Probe. 5 Stunden lang.

Danach geht es für alle wieder auf die „Piste“, aber natürlich nicht bis in die Puppen, denn am Montag ist AUFTRITTSTAG!

Es ist Martin Luther King Day in Amerika. Ein Feiertag. Wir haben noch ein bisschen Zeit, die Stadt zu genießen, bis am frühen Nachmittag die Generalprobe in der Carnegie Hall losgeht.  

Ein kleines Problem ist die Größe des Chores: Sogar in zwei Hälften geteilt, ziehen sich die Schlangen backstage vor den Bühnentüren jeweils über mehrere Stockwerke nach oben bis zur Garderobe hin. Dementsprechend schwierig ist es, den Chor auf der Bühne zu platzieren. Am Anfang der Probe wird eine Menge Zeit darauf verwendet, die Sängerinnen und Sänger so zu stellen, dass jeder genug Platz hat und auch noch was sehen kann.

Da wir zum ersten Mal mit dem Orchester proben, müssen wir uns zunächst an den Sound gewöhnen und daran, dass der Dirigent noch weiter weg ist. Wir müssen sein Tempo genau aufnehmen, damit wir mit dem Orchester zusammenpassen.

Abends dann der große Auftritt. Das Konzert ist nicht ganz ausverkauft. Besonders auffällig sind einige hundert leere Sitze im Block auf den Balkonen. Diese Sitze sind für die zweite Konzerthälfte für uns reserviert, denn es soll ja noch eine Uraufführung eines neuen Jenkins-Werkes folgen.

Jonathan Griffith kommt im feinen Zwirn auf die Bühne und es geht endlich los.

Wie im Tunnel singen wir uns durch das Stück und plötzlich ist es vorbei. Applaus und Abgang und wir können sagen: „Wir haben in der Carnegie Hall gesungen!“ Jetzt können wir die zweite Konzerthälfte genießen.

Nach dem Konzert ist dann noch ein Empfang mit einem Büffet und einer „open Bar“. Schade nur, dass der ansonsten so relaxte New Yorker beim Thema Gastfreundschaft anscheinend sehr genau auf die Uhr schaut. Gerade als die Stimmung auf dem Höhepunkt ist und ein Chor nach dem anderen etwas singt (angestiftet übrigens von uns...), sind zwei Stunden rum. Der Empfang war für zwei Stunden angekündigt und wenn die um sind, macht der Amerikaner das Licht aus. Na ja, war trotzdem ein schöner Abend. Einige haben noch nicht genug gefeiert und gehen noch in die Hotelbar, andere suchen sich einen Pub in der Nähe.

Am Dienstag haben wir dann keine Termine mehr. Bis zur Abfahrt zum Flughafen um 15 Uhr können wir machen was wir wollen. Einige haben ihre Liste der Sehenswürdigkeiten noch nicht abgehakt und sind quasi bis zur letzten Sekunde unterwegs. Bei anderen ist die Luft raus und sie entspannen sich in der Hotel-Lobby.

Leider haben wir diesmal keinen Direktflug. Wir müssen über München fliegen. Die Landung in München ist etwas ruppig: Vorläufer des Sturmtiefs „Friederike“ machen sich schon bemerkbar.

Dann noch ein kurzer Anschlussflug und wir sind wieder in Düsseldorf, wo unser Busfahrer schon auf uns wartet. Nach einer ruhigen Fahrt biegen wir auf den Parkplatz am Bodelschwingh-Haus ein und ganz plötzlich ist unser New-York-Abenteuer vorbei. Aber was wir dort erlebt haben, muss sich für die meisten erst einmal setzen. Waren wir wirklich dort? Standen wir wirklich in der Carnegie Hall auf der Bühne? Auf dem Empire State Building? Sind wir wirklich durch den Central Park gelaufen? Über den Times Square? Ja, ja, ja! Ist alles passiert.

WIR WAREN IN NEW YORK!