Eine zwielichtige Angelegenheit oder Man sieht sich immer zweimal im Leben.

Cantate ‘86 in New York (Teil 2)

Rückblick:

Januar 2018: Cantate ergriff die „einmalige Chance“ mit „Distinguished Concerts International New York“ (DCINY) in der Carnegie Hall zu singen. Aufgeführt wurde die Friedensmesse The Armed Man von Sir Karl Jenkins. In der zweiten Konzerthälfte hatten wir dann die Möglichkeit, eine Uraufführung eines neuen Werkes desselben Komponisten zu sehen. Die Zeit zwischen Proben und Aufführungen nutzten wir, um bei knackigen Minunsgraden so viel wie möglich von der Stadt zu sehen. Sowas kommt ja immerhin nicht so schnell wieder…

So dachten wir.

Aber bereits Anfang 2020 war klar: Wer einmal dort war, wird auch noch öfter gefragt. Und so sollten wir im Januar 2021 wieder in New York sein, wieder mit einem Werk von Jenkins, der berührenden „Cantata Memoria“, welche die Katastrophe von Aberfan musikalisch aufarbeitet. Noten wurden besorgt, die ersten Proben liefen an… Und dann kam Corona und hat nicht nur die Chorarbeit jäh gestoppt, sondern auch dafür gesorgt, dass das Konzert letztendlich abgesagt werden musste. Chance vertan…

So dachten wir.

Aber DCINY ist hartnäckig: Anfang des Jahres 2023 kommt die nächste Anfrage. Diesmal sollen wir die Möglichkeit bekommen, selbst an einer Uraufführung teilzunehmen. Und zwar nicht von irgendjemandem, sondern von Ola Gjeilo, einem der angesagtesten Chorkomponisten der heutigen Zeit. Sofort ist uns klar: Eine Uraufführung mitgestalten, das ist etwas ganz Besonderes. Natürlich wollen wir uns das nicht entgehen lassen!

Und so warten wir gespannt auf die Noten. Als sie endlich ankommen, können wir als einer der ersten Chöre überhaupt einen kleinen Einblick in das Werk erhalten. Ola Gjeilo ist ein Meister darin, singbare Stücke zu schreiben und gleichzeitig einen ganz großen Klang zu zaubern. Wie groß der Klang werden würde, davon haben wir bei unseren ersten Proben noch keine Vorstellung.

Am Morgen des 10. November geht es dann endlich los: 23 Sängerinnen und Sänger plus Begleitpersonen setzen sich in den Bus und fahren zum Düsseldorfer Flughafen. Von dort aus fliegen wir über Frankfurt am Main nach Newark, New Jersey, einer Nachbarstadt von New York. Dort werden wir von einer äußerst netten und kompetenten deutschsprachigen Reiseleitung empfangen, die uns auf dem Weg ins Hotel ein wenig über den Alltag der Bevölkerung von New York (deren genaue Größe übrigens unbekannt ist) erzählt.

Nach der Ankunft machen wir dann den ersten kleinen Spaziergang rund um den Times Square. Die Suche nach etwas Essbarem treibt uns in eine kleine Pizzeria, die in den nächsten Tagen noch öfter zum Ziel werden würde.

Der nächste Morgen beginnt dann mit einem sehr amerikanischen Frühstück, das vor allem aus Süßkram wie Muffins besteht, Würstchen, Omeletts und Hashbrowns (eine Art Rösti). Am ehesten an ein Frühstück, wie wir es kennen, erinnert vielleicht das Toastbrot mit Frischkäse und die Corflakes. Ach ja: etwas Obst gab es auch noch! Das Geschirr ist vollständig aus Pappe bzw. Plastik und wird nach dem Frühstück weggeworfen. Warum sollte man auch Porzellan nehmen. Das müsste man ja spülen…

Nach dem Frühstück haben wir zunächst Freizeit. Der 11.11. ist Veteran’s Day und New York ehrt die Mitglieder der Armee, aber auch die Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr mit einer Parade. Unabhängig davon, wie man das persönlich findet, ist das ein interessantes Schauspiel. Genauso wie das Aufstellen des berühmten Weihnachtsbaumes am Rockefeller Center. Dieser riesige Baum, mit einem Kran aufgerichtet, wirkt vor dem noch viel riesigeren Wolkenkratzer wie ein kleines Wohnzimmer-Bäumchen.

Bei schönstem Herbstwetter bieten sich allerhand Ein- und Ausblicke – zum Beispiel auf die bereits geöffnete Eisbahn im Central Park. Schon kurios: Die Sonne scheint, man kann sogar die Jacke ausziehen und man schaut den Leuten beim Schlittschuhlaufen zu.

Direkt neben dem Central Park liegt unser erster Probenraum, in der New York Society for Ethical Culture, Probenbeginn ist um 13:30 Uhr. Vorher bekommen wir noch unsere Backstage-Pässe. Der Raum hat Hörsaal-Charakter und eine Bühne, von der aus wir dirigiert werden. Doch zuerst wird sichergestellt, dass jeder etwas sehen kann. Die Stimmen werden noch einmal etwas umgestellt und Organisatorisches zum Probenablauf geklärt. Vieles von vor sechs Jahren ist uns noch bekannt. Zum einen der musikalische Leiter – Jonathan Griffith, zum zweiten die Aspekte, auf die er Wert legt: eine deutliche Aussprache („G-loria in ek-schelsis däo“), feine Abstufungen in der Dynamik sowie die Tatsache, dass wir lernen müssen, uns nicht am Klang zu orientieren, sondern am Dirigat des Chorleiters. Das Highlight ist aber natürlich die Anwesenheit des Komponisten. Nicht nur das: Zeitweise begleitet er uns auch am Klavier. Das wird er beim Konzert auch tun. Nach Probenschluss steht er noch für Fotos mit den Chören bereit. Alles läuft sehr organisiert und professionell ab.

Nach der Probe begeben wir uns auf die Suche nach einem bezahlbaren Restaurant. Die Wahl fällt auf ein Irish Pub, das auch eine nette Atmosphäre bietet. Die Auswahl an Gerichten besteht allerdings weitestgehend aus Burgern und mutet damit ziemlich amerikanisch an. Lecker ist es trotzdem.

Am nächsten Morgen beginnt die Probe um 08:30 Uhr und findet einige Blöcke weiter in der Fordham University statt. Nach vier Stunden können wir uns wieder frei in New York bewegen und nutzen die große Bandbreite an Möglichkeiten, die diese Metropole bietet: Shoppen, Museen, Aussichtsplattformen (Der Blick vom Empire State Building bei Nacht ist beeindruckend. Die Lichter reichen bis zum Horizont!) oder auch einfach mal eine Pause im Starbucks, der dort wirklich an jeder Ecke steht. Der Abend klingt bei Snacks und einem „guten“ Wein aus (schmeckt wie Gummibärchen!).

Am nächsten Tag, Montag, den 13.11.2023, ist es tatsächlich schon wieder soweit: Um 13:15 Uhr ist „Call Time“ für die Generalprobe in der Carnegie Hall. Der Anblick der Ränge hat nichts von seinem Zauber verloren. Der Saal ist einfach total schön. Der Betreuer von DCINY, der schon die letzten Tage immer nett und fröhlich alles Organisatorische erklärt hat, teilt uns mit, dass der Ticketverkauf im Vergleich zu anderen Konzerten von DCINY sehr gut gelaufen sei. Über 1000 Menschen werden da sein und sich das neue Werk von Ola Gjeilo anhören. Aber die allerersten sind der Chor und die Begleitpersonen, die sich die Generalprobe vom Zuschauerraum aus anhören dürfen. Als die ersten sanften Töne des Orchesters erklingen, sind wir wie verzaubert. Natürlich ist es eine Generalprobe und hin und wieder wird abgebrochen und Dinge werden korrigiert. Aber insgesamt haben alle das Gefühl: Das wird ein grandioses Konzert. Die Zeit zwischen Probe und Konzert überbrücken einige von uns in einem Café, andere fahren zurück ins Hotel.

Zum Konzert finden sich alle wieder pünktlich in der Garderobe ein. Der erste Konzertteil wird von einem anderen Chor bestritten und besteht aus Vivaldis Gloria für Frauenchor. Wir stehen uns derweil im Treppenhaus der Carnegie Hall die Beine in den Bauch und warten auf unseren Einsatz. Beide aufgeführten Werke sind recht kurz und so gibt es dazwischen keine Pause. Die Zeit für Ab- und Aufbau der Chöre wird mit einem Interviewgespräch zwischen Jonathan Griffith und Ola Gjeilo überbrückt, in dem er die Hintergründe der Twilight Mass erklärt: Die Messe wurde als Komplemantärstück zu seiner Sunrise Mass komponiert. Während diese in vier größere Teile aufgeteilt ist, gibt es bei der Twilight Mass neun kürzere Stücke. Menschen streamen heute einzelne Lieder, anstatt sich komplette Alben oder umfangreichere Werke anzuhören. Diesen veränderten Hörgewohnheiten möchte er Rechnung tragen.

Jonathan Griffith betont noch einmal die Leistung der Chöre, die nur wenige Wochen zur Vorbereitung auf das Konzert hatten und dann geht es los: Die ersten Takte erklingen. Hochkonzentriert singen sich 230 Chorbegeisterte durch das Stück. An alles versuchen wir zu denken. Wenn etwas nicht so klingt, wie es soll, erinnert und der Maestro mit Gesten daran. Es breitet sich ein unglaublicher Klangteppich aus Streichinstrumenten und Singstimmen aus, auf dem Publikum, Chor und Orchester in den New Yorker Montagabend schweben. Nach 35 Minuten ist der Spaß vorbei. Jonathan lässt den Taktstock auf das Pult fallen und streckt den Daumen nach oben. Das Publikum springt auf, um uns Standing Ovations zu spenden. Als wir von der Bühne gehen, steht am Ausgang ein sichtlich stolzer Dirigent, schüttelt allen Mitwirkenden die Hand und bedankt sich.

Quasi direkt gegenüber der Carnegie Hall ist das Lokal, in dem nach dem Konzert der Empfang stattfindet. Nach und nach finden sich die Chöre ein und nehmen an den für sie reservierten Tischen Platz. Man kann sich am reichhaltigen Büffet bedienen. Die Location kommt recht elegant daher. Wir können hier sogar von echten Tellern mit echtem Besteck essen. Nur die Softdrinks liegen in Dosen auf Eis in der Auslage.

Jonathan Griffith kommt auch hier wieder an jeden Tisch und bedankt sich ein weiteres Mal. Ola Gjeilo steht für Fotos und Autogramme bereit. Bevor wir gehen, machen wir noch einmal ein gemeinsames Foto mit Jonathan. Dann geht es müde aber glücklich und satt zurück ins Hotel.

Am nächsten Tag geht es bereits zurück nach Deutschland. Der Flug verschiebt sich jedoch um ein paar Stunden nach hinten. Ein Glück für uns, denn so können wir noch einmal einen ganzen Tag lang die Stadt genießen und zum Beispieldie Freiheitsstatue, Ground Zero, die Wall Street und China Town besuchen.

Am JFK Flughafen geht es dann durch die äußerst strengen Sicherheitskontrollen. Die Taktik ist offenbar: So einschüchternd agieren wie möglich. Und so geht es zurück nach Frankfurt und von dort wieder nach Düsseldorf. Am Abend des 15. November kommen wir schließlich wieder ziemlich k.o., aber glücklich am Bodelschwingh-Haus an.

Und so ist nun auch die zweite „einmalige Chance“ von uns genutzt worden. Wir wissen mittlerweile: Wir dürfen uns als Chor, aber auch als Einzelpersonen, immer wieder anmelden. Wer weiß: Vielleicht sind aller guten Dinge ja auch drei… 😉